Medienmitteilung des Thurgauer Obergerichts
Keine höhere Strafe möglich betreffend den betrügerischen Bezug von Ergänzungsleistungen
Der Angeklagte hatte bei der Anmeldung zum Bezug von Ergänzungsleistungen (EL) und bei der späteren Überprüfung seine Vermögensverhältnisse verschleiert und deshalb zu Unrecht Leistungen bezogen. Das Obergericht verurteilte ihn deshalb zu einer bedingten Geldstrafe von 170 Tagessätzen und zu einer Busse von Fr. 2'000. Es hielt zwar eine höhere Strafe für schuldangemessen, war aber an den Anschlussberufungsantrag der Staatsanwaltschaft gebunden.
Der heute 68-jährige Angeklagte hatte dem Sozialversicherungszentrum bei der Anmeldung von Ergänzungsleistungen (EL) nur ein Vermögen von rund Fr. 20'000 angegeben, obwohl dieses in Wirklichkeit über mehrere Hundertausendfranken betrug. Im Rahmen einer Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse verschwieg er weiterhin massgebliche Vermögenswerte und reichte einen fiktiven Darlehensvertrag ein. Damit wollte er eine angeblich bestehende Darlehensschuld und einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen nachweisen.
Erfolgreiche Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft
Das Bezirksgericht verurteilte den Angeklagten wegen mehrfachen Betrugs im Zusammenhang mit falschen Angaben bei der EL-Anmeldung und bei der Überprüfung zu einer bedingten Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je Fr. 40 und zu einer Busse von Fr. 1'000. In Bezug auf die falschen Angaben zur Darlehensschuld sprach es ihn vom Vorwurf des Betrugs frei. Der Beschuldigte forderte vor Obergericht erfolglos einen Freispruch. Die Staatsanwaltschaft erhob ihrerseits Anschlussberufung, verlangte neben dem Schuldspruch wegen mehrfachen Betrugs auch eine Verurteilung wegen versuchten Betrugs im Zusammenhang mit dem fiktiven Darlehen und beantragte eine bedingte Geldstrafe von 170 Tagessätzen à Fr. 70.00 sowie eine Busse von Fr. 2'000. Das Obergericht schützte diesen Antrag vollumfänglich.
Keine höhere Strafe möglich wegen des Schlechterstellungsverbots
Eigentlich hätte das Obergericht den Angeklagten für den mehrfachen Betrug und den Betrugsversuch mit einer Geldstrafe von 200 Tagessätzen statt der von der Staatsanwaltschaft beantragten 170 Tagessätze bestrafen wollen. Es konnte aber nicht über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinausgehen. Zwar sieht die Strafprozessordnung vor, dass das Berufungsgericht nicht an die Parteianträge gebunden ist (Art. 391 Abs. 1 StPO). Laut Abs. 2 dieser Bestimmung darf die Rechtsmittelinstanz Entscheide aber nicht zum Nachteil der beschuldigten oder verurteilten Person abändern, wenn das Rechtsmittel nur zu deren Gunsten ergriffen wurde (sogenanntes Schlechterstellungsverbot). Das Bundesgericht entschied in BGE 147 IV 167 (Erw. 1.5.3), die in Art. 391 Abs. 2 StPO vorgesehene Schutzwirkung würde vereitelt, «wenn die Anschlussberufung das Schlechterstellungsverbot überschiessend – über die zulasten des Beschuldigten gestellten Anträge hinaus – beseitigen würde». Mit anderen Worten bestimmen die Parteien mit ihren «Anträgen in der Sache den Verfahrens- resp. Streitgegenstand im Rechtsmittelverfahren». Das Berufungsgericht kann – von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen (bisher unbekannte Tatsachen) – die Strafe nicht zu Ungunsten des Beschuldigten über die Anschlussberufungsanträge der Staatsanwaltschaft hinaus verschärfen.
Thomas Soliva, Medienstelle des Thurgauer Obergerichts
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