Verhaltensrichtlinien für Richterinnen und Richter
Verhaltensrichtlinien für Richterinnen und Richter
(verabschiedet an der Plenarsitzung vom 5. Juli 2021)
Präambel
Das Obergericht des Kantons Thurgau übt nach § 55 Kantonsverfassung die Aufsicht über die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit aus. Als höchste kantonale Instanz in Straf- und Zivilsachen ist sich das Obergericht seiner besonderen Verantwortung für das Vertrauen in die Justiz bewusst. Oberrichterinnen und Oberrichter beachten sowohl in ihrer amtlichen Tätigkeit als auch als Privatpersonen die nachfolgenden Verhaltensrichtlinien, um das Vertrauen in die Justiz zu bewahren und zu mehren. Das Obergericht berücksichtigt die Verhaltensrichtlinien zudem in seiner Aufsichtstätigkeit.
A. Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit
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(1) Richterinnen und Richter sind nur an das Recht gebunden und in ihrem Urteil unabhängig. Sie würdigen die Fakten vorurteilsfrei und wenden das Recht unvoreingenommen an.
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(2) Richterinnen und Richter nehmen die ihnen übertragenen Aufgaben selbständig und eigenverantwortlich wahr. Sie lassen sich nicht durch Druck der Öffentlichkeit, der Parteien oder von Dritten in ihrer Urteilsfindung beeinflussen.
- (3) Richterinnen und Richter verhalten sich innerhalb und ausserhalb ihres Amtes so, dass das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in ihr Amt stets gewahrt ist. Sie vermeiden bereits den Anschein eines Interessenkonfliktes, der Voreingenommenheit oder eines Vorurteils.
B. Amtsführung
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(4) Eine unabhängige und qualitativ hochstehende Rechtsprechung verlangt von den Richterinnen und Richtern die sorgfältige, gewissenhafte und effiziente Wahrnehmung ihrer Aufgaben. Dabei sind sie in ihrer Arbeitsorganisation frei. Die stetige Weiterbildung ist eine Selbstverständlichkeit.
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(5) Richterinnen und Richter verhalten sich in jeder Funktion, die sie innerhalb des Gerichts wahrnehmen, kollegial gegenüber anderen Mitgliedern und Mitarbeitenden des Gerichts. Sie respektieren Entscheide des Gremiums und tragen diese aktiv mit.
- (6) Richterinnen und Richter berufen sich weder in ihrem beruflichen noch in ihrem Privatleben auf ihr Amt, um Vorteile oder Privilegien zu erhalten. Sie nehmen weder Geschenke noch sonstige materielle Zuwendungen entgegen.
C. Aussergerichtliche Tätigkeit und Öffentlichkeit
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(7) Richterinnen und Richter dürfen sich in der Öffentlichkeit äussern und betätigen, jedoch tun sie dies zurückhaltend und mit Augenmass. Zu laufenden Fällen des Gerichts nehmen sie öffentlich nicht Stellung. Interna werden nicht nach aussen getragen.
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(8) Politische Tätigkeiten sind im Rahmen der Bundes- und Kantonsverfassung zulässig. Politisch aktive Richterinnen und Richter sind sich ihrer Verantwortung in der Öffentlichkeit bewusst. Sie benutzen das Richteramt nicht als Forum oder Bühne für weltanschauliches Engagement. Unzulässig ist die öffentliche politische Äusserung in einem konkreten Bezug zu einem aktuellen Verfahren vor dem eigenen Gericht.
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(9) Richterinnen und Richter enthalten sich ausser- und nebenberuflicher Tätigkeiten, die geeignet sind, ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in Frage zu stellen respektive Interessenkonflikte zu verursachen. Sie übernehmen namentlich keine exponierten Funktionen in Organisationen, die Interessen vertreten, die regelmässig Gegenstand von Verfahren am eigenen Gericht sind.
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(10) Die Nutzung von informatisierten sozialen Netzwerken ist eine persönliche Entscheidung von Richterinnen und Richtern. Sie gehen besonders sorgfältig mit diesen um.